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Ergebnisse der vierten Konferenz der Umweltbeauftragten der europäischen Bischofskonferenzen

zum Thema "Arbeit und Schöpfungsverantwortung"
Venedig/Italien 23. –26. Mai 2002

Rund 60 Delegierte aus 22 Ländern haben an der kirchlichen Konsultation zu Umweltfragen teilgenommen, die vom Rat der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE) in Kooperation mit dem Department für Sozialpastoral und Arbeit der italienischen Bischofskonferenz sowie der italienischen Lanza-Stiftung organisiert wurde. Sie fand in Venedig vom 23. bis 26. Mai 2002 statt und stand unter der Leitfrage nach den Zusammenhängen zwischen dem Verständnis von Arbeit und den Problemen und Chancen der Schöpfungsverantwortung. Zum Abschluss fand eine öffentliche Podiumsdiskussion zum Verhältnis von Gesundheit und Arbeit statt.

Die Konsultation stand im Rahmen eines Zyklus von Begegnungen, die seit vier Jahren von CCEE organisiert werden (1999 in Celje/Slowenien zu theologisch-ethischen Grundlagen für ein ökologisches Engagement der Kirchen; 2000 in Bad Honnef/Deutschland zu Schöpfungsspiritualität und Umweltpolitik; 2001 in Badin/Slowakei zu christlichen Lebensstilen und nachhaltiger Entwicklung).

An den Beratungen nahmen auch Vertreter des Heiligen Stuhls, der Bischofskonferenzen der USA und Australiens, der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft (ComECE), nationale und internationale Vertreter von Justitia et Pax, des Europäischen Christlichen Umweltnetzwerks (ECEN) sowie der Exarch des ökumenischen Patriarchats von Südeuropa aktiv teil. Eine ökumenische Ausrichtung wurde nicht nur bei den wissenschaftlichen Beratungen praktiziert, sondern auch in einer liturgischen Feier und Begegnung zwischen orthodoxen, katholischen und protestantischen Christen in Venedig.

Die Konsultation fand ihren Abschluss in einer eindrucksvollen Eucharistiefeier im Markusdom, in der der Patriarch von Venedig auf das Beispiel dieser Stadt hinwies, wo die Schönheit der Schöpfung sich auf unvergleichliche Weise mit menschlicher Kreativität verbunden hat, die aber heute bedroht ist und exemplarisch die problematische Interaktion zwischen Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt vor Augen führt. Einen Ausweg bietet nur die Besinnung auf eine Anthropologie, die die ganze Vielfalt der Fähigkeiten des Menschen im Blick behält, sie ausgewogen und kreativ integriert und in den Dienst der Beziehung zwischen der Schöpfung und dem dreifaltigen Gott stellt.
Aus den Beratungen ergaben sich sechs zentrale Schlussfolgerungen:

 

1. Mitverantwortung der Kirche für einen Wertewandel

Voller Sorge blicken die Vertreter der Europäischen Bischofskonferenzen auf die Widersprüche zwischen den zahlreichen Beschlüssen für eine nachhaltige Entwicklung und den tatsächlichen globalen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen: Die zunehmend durch Wasserknappheit, Erosion von fruchtbarem Boden und Klimaänderungen mitbedingte Armut in den Entwicklungsländern und die rapide Reduktion der Biodiversität, insbesondere durch die Vernichtung der tropischen Wälder, sowie der hohe Ressourcenverbrauch durch den "Verschwendungswohlstand" in den Industrieländern zeigen deutlich, dass das gegenwärtige Modell unserer Wirtschafts-, Arbeits- und Lebensweise nicht nachhaltig ist. In einigen Bereichen haben die Umweltbelastungen zunehmend negative Auswirkungen auf die Gesundheit.

Solidarität und Gerechtigkeit gegenüber den ärmeren Ländern sowie gegenüber den künftigen Generationen fordern einen tiefgreifenden Wandel der wirtschaftlichen und kulturellen Leitwerte und des Umgangs mit der Natur. Daran mitzuwirken ist Aufgabe und Pflicht der Kirchen. Da das gegenwärtige Zivilisationsmodell sich wesentlich von Europa und Nordamerika aus verbreitet hat, tragen die europäischen Länder hier eine besondere ethische Mitverantwortung.

2. Nachhaltige Entwicklung braucht ein neues Verständnis von Arbeit

Es bestehen tiefe innere Zusammenhänge zwischen der ökologischen Krise und unserem Verständnis von Arbeit. Die Überbewertung der materialintensiven Produktion gegenüber geistigen und sozialen Tätigkeiten ist eine der wesentlichen Ursachen der Umweltkrise. Arbeit im Sinne der massenhaften Herstellung von Produkten darf nicht mehr Leitgröße für die Entwicklung sein, sondern Produktion ist als Voraussetzung für geistige und kulturelle Tätigkeiten, soziale Dienstleistungen sowie für kreative Muße zu verstehen. Die gegenwärtige Form der Arbeitsgestaltung ist nicht nur ökologisch, sondern auch sozial in hohem Maße belastend aufgrund vielfältiger Streßfaktoren, teilweise verbreiteter Außerachtlassung der notwendigen Sicherheitsvorkehrungen sowie psychischen Belastungen bei Arbeitslosigkeit und anderes mehr.

Politisch haben Maßnahmen für Umweltschutz nur dann eine Chance, wenn deutlich wird, dass sie nicht in Konkurrenz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit stehen, sondern so organisiert werden, dass sie zugleich Arbeitsplätze schaffen und zu einer Humanisierung der Arbeit beitragen.

Eine solche notwendige Synergie zwischen Arbeit und Umweltschutz ergibt sich nicht automatisch aus den Marktprozessen, sondern muss aktiv durch politisch gestaltende Maßnahmen und einen entsprechenden gesellschaftlichen Konsens herbeigeführt werden: Eine Änderung der steuerlichen Rahmenbedingungen, die den Rationalisierungsdruck vom Faktor Arbeit auf den Faktor des Ressourcen- und Energieverbrauchs sowie der Kapitalgewinne verlagert und Finanzen für Investitionen in Umweltschutz freisetzt, zusammen mit Förderprogrammen für erneuerbare Energie, ökologisches Bauen, nachhaltige Mobilität, naturverträgliche Landwirtschaft u.a. können Millionen von Arbeitsplätzen schaffen. Über die genauen Voraussetzungen und Chancen für solche Synergien gibt es jedoch noch einen offenen Diskurs der Experten, der dringend international weiter geführt werden muss.

Entscheidend sind nicht primär die zusätzlichen Arbeitsplätze durch additiven Umweltschutz, sondern die Entlastung und Humanisierung des Arbeitsmarktes durch einen tiefgreifenden Strukturwandel mittels neuer Zuordnungen und Gewichtungen von Erwerbsarbeit, Versorgungsarbeit, Gemeinschaftsarbeit und Eigenarbeit (Mischarbeit).

 

3. Ein anderes Verständnis von Wachstum und von Zeit sind Voraussetzungen für einen schöpfungsverträglichen, gerechten und dauerhaften Wohlstand

Zunehmend wird die Bewahrung und Pflege des Naturkapitals zum limitierenden Faktor für wirtschaftliche Produktivität und Wohlstand. Deshalb braucht es ein „starkes" Verständnis von Nachhaltigkeit, das der Substitution von Naturkapital durch menschen-gemachtes Kapital Grenzen setzt.

Das bedingt zugleich ein neues Verständnis von Wachstum, das sich nicht durch quantitatives "immer mehr" definiert, sondern qualitativ durch die Schaffung von Voraussetzungen für geistige und kulturelle Leistungen. Wachstum ist nur dann nachhaltig, wenn es durch technische und strukturelle Verbesserungen mit einem abnehmenden Materialverbrauch verbunden ist (Entkoppelung).

Unbegrenztes Wachstum ist nur in geistigen Bereichen der Bildung, der Kultur und der spirituellen Beziehung zu Gott sinnvoll und möglich. An diesen Werten muss sich das Verständnis von Wachstum orientieren. Die Wiederherstellung des Primats der nicht produzierenden, geistigen Tätigkeiten ist eine wichtige Voraussetzung für eine Kultur der Nachhaltigkeit. Dies verlangt eine neue Zuordnung von Arbeit und schöpferischer Muße. Nur auf der Basis einer breiten Pfege der geistigen und sozialen Tätigkeiten und der religiösen Dimension des Menschen können Kreativität und Lebensfreude gedeihen.

Die Kirche kann hierzu vor allem durch den Schutz und eine Kultur des Sonntags einen fundamentalen Beitrag leisten. Der Sonntag als der ursprünglich erste Tag der Woche, ist ein zentraler Ausdruck für die Ordnung der Zeit. Er schafft Orientierung und Freiheit, indem er den Rhythmus der Arbeit unterbricht und Zeit für Gott, für Kontemplation, für Familie, Freunde, Erholung, Bildung und ehrenamtliche Tätigkeiten schenkt. Als gemeinsamer arbeitsfreier Tag ist er wichtig für die soziale Synchronisation und damit die Ermöglichung von Gemeinschaft. Von der Tradition des Sabbat her ist der Sonntag "übernützlich", mehr als notwendig: Er schafft einen zweckfreien Raum, der wesentlich ist für die Entfaltung des Menschen, was sich dann indirekt auch wieder positiv auf die Schaffenskraft auswirkt. Der Schutz des gemeinsamen freien Wochenendes bzw. -anfangs bedarf der Abstimmung mit anderen Religionen und Institutionen, um eine interreligiöse und gesellschaftliche Zeitkultur zu fördern.

 

4. Die aktuelle Situation fordert von der Kirche das Zeugnis durch praktische Schöpfungsverantwortung

In der Situation oft folgenloser moralischer Appelle und politischer Beschlüsse wird das Zeugnis durch eigenes Handeln zur notwendigen Voraussetzung für Glaubwürdigkeit. Nur in Verbindung mit beispielhaftem Handeln kann die Kirche wirksam zu einem Wertewandel beitragen und ihrem Auftrag der Schöpfungsverantwortung gerecht werden.

Deshalb bildete der Erfahrungsaustausch über die praktischen Initiativen der Kirche angesichts der teilweise sehr unterschiedlichen Lage der Umwelt in den europäischen Ländern einen Schwerpunkt dieser wie der vorausgehenden Konferenzen. Es hat sich gezeigt, dass die bisherigen Treffen und Kontakte bereits zu vielfältigen wechselseitigen Anregungen geführt haben. Beispielhafte Initiativen sind:

Im Bildungsbereich hat etwa die Bischofskonferenz von Italien ein umfangreiches Arbeitsbuch "Verantwortung für die Schöpfung" zum praktischen und pastoralen Engagement in Pfarrgemeinden und kirchlichen Bewegungen herausgegeben. Ungarn hat ein Bildungsprogramm für die Schulen geschaffen, das auch Unterrichtseinheiten in Wäldern einschließt. Auch in der Kirche Spaniens und Portugals ist das Engagement im Bildungsbereich ein Schwerpunkt. In Frankreich wurde ein Workshop zur Schöpfungsverantwortung für die Bischöfe angeboten. In Belgien hat die Kirche im Jahr 2002 ein diakonisches Jahr ausgerufen, dessen erster Schwerpunkt die Verantwortung für die Schöpfung ist. In der Schweiz hat die seit 1986 bestehende ökumenische Arbeitsgemeinschaft der Kirchen für Umweltfragen (Oeku) u.a. einen Energiesparkurs für Sakristane (Mesner) abgehalten.

In liturgischen Bereich feiert beispielsweise Kroatien seit zehn Jahren in verschiedenen Pfarreien und Schulen im Oktober einen "Tag des Brotes". In der Slowakei wurde ein Hirtenbrief zur Feier des Sonntags veröffentlicht sowie Predigtvorlagen zur Schöpfungsspiritualität verbreitet. In Österreich wird in enger Verbindung mit der Initiative des Europäischen Christlichen Umweltnetzwerks eine Zeit der Schöpfung gefeiert.

In Russland, der Ukraine und Weißrussland setzt sich die Kirche für die zahlreichen Opfer der atomaren Verseuchung ein. Einige Länder sind im Zusammenhang mit dem Einsatz für die Schöpfung besonders im interreligiösen Dialog engagiert (England, Malta). Praktische Initiativen für erneuerbare Energie sowie ein Engagement in Agenda-21-Prozessen gibt es beispielsweise in Deutschland. Vertreter von "Justitia et Pax" aus verschiedenen Ländern haben durch ihre Beiträge das zunehmende Bewusstsein für die Zusammenhänge von Frieden, Gerechtigkeit und Umweltschutz verdeutlicht.

 

 

5. Die europäischen Kirchen unterstützen verbindliche Maßnahmen beim Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg

Da Fortschritte in einer global nachhaltigen Entwicklung heute zu einer Überlebensfrage der Menschheit geworden sind, blicken die Europäischen Bischofskonferenzen mit großen Erwartungen auf den Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung, der vom 26. 8. bis zum 4. 9. in Johannesburg/Südafrika stattfinden wird. Europa kann und muss einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, dass die Agenda 21 endlich zum verbindlichen "Fahrplan" für die Umsetzung der Vision einer nachhaltigen Entwicklung wird. Die Teilnehmer der Konsultation setzen sich dabei für folgende Prioritäten ein:

 

6. Künftige Weiterarbeit

Für die künftige Weiterarbeit soll vom 15. - 18. Mai 2003 eine weitere Konsultation der Umweltbeauftragten der europäischen Bischofskonferenzen in Breslau/Polen stattfinden. Als zentrales Anliegen hierfür wurde "Bildung für Schöpfungsverantwortung und nachhaltige Entwicklung" vorgeschlagen. Die Texte aller Konsultationen sind im Internet des CCEE (http://www.ccee.ch) zugänglich.

Venedig, den 26. Mai 2002